Der Hohe Atlas
Über den Tizi N´Tichka via Teleout nach Ouarzazate
Es ist soweit, heute verlasse ich die Küste und mache mich auf gen Hohen Atlas. Die paar Sachen sind schnell im Koffer verstaut, die Packerei wird langsam zur Routine. Vor dem Hotel steht der erste marokkanische Guardian und streckt die Hand nach einem kleinen Obolus aus. Also wechseln ein paar Münzen und ich mache mich auf den Weg. Es ist mächtig was los in El Jadida, die Innenstadt ist mehr oder weniger verstopft und ein übler Gestank aus Abgasen und Pferdemist verpestet die Gegend. Ich bin froh als ich die Stadt verlasse und plattes Land erreiche. Je weiter ich in Richtung Marrakesch fahre umso weniger Menschen sind zu sehen. Verdorrtes Land rechts und links der Route National, eine reichlich öde Fahrerei. Das fällt alles unter Rubrik: Kilometer fressen.
Marrakesch ist ein Moloch mit einem unglaublich quirligen Verkehrs Chaos. Ich wähle bewusst den äußeren Ring um die Metropole um zu den am Horizont erscheinenden Bergen des Atlas zu kommen. Eigentlich sind die Straßen recht gut beschildert, bis zu einer Baustelle wo der ganze Verkehr von der Autobahn ähnlichen Umgehung runter geleitet wird. Da steh ich nun und weiß nicht weiter. Zwei Kreuzungen weiter steht ein Polizist und regelt den Verkehr. Also mitten drin angehalten und freundlich nach dem Weg gefragt. Er war ganz entzückt einen deutschen Moto Fahrer mal zu sehen und erklärten mir wild gestikulierend die Route nach Ouarzazate. Nebenbei regelte auch noch den Verkehr, ein echter Könner. Da sag noch einer Männer wären nicht Multitasking fähig.
Bald hinter Marrakesch wird die Landschaft hügeliger und die ersten Kurven machen die Reise wieder interessanter. Der Tizi N´Tichka ist ein erstes Zwischenziel der heutigen Fahrt. Tizi ist Berberisch und heißt Pass, also könnte man auch sagen Col du Tichka (was auch so oben auf der Passhöhe steht). Zur Mittagszeit halte ich noch für eine kleine Stärkung in Form von Brochettes de Poulet (gegrilltes Hühnerfleisch auf Spießen) an. Dazu etwas Salat und der Pass kann in Angriff genommen werden.
Anfangs ist die Streckenführung noch recht unspektakulär und folgt dem Lauf eines Flusses. Die Straße ist in einem sehr guten Zustand und die Schräglagen fangen an Spass zu machen. Die Berge des Hohen Atlas werden immer höher und so langsam ahne ich wo es langgeht und was dann kommt. Am Ende des Tals windet sich die Straße absolut spektakulär die steilen Berghänge hinauf. Eine karge baumlose Gegend, hinter jeder Kurve Fotomotive en Masse. Warum soll ich da hoch hetzen, also noch ein weiterer Foto Stopp.
Auf der Passhöhe treffe ich 3 Leute aus Spanien, die von der anderen Seite hochgekommen sind. Dazu gesellen sich sofort 3 Marokkaner und wollen uns Mineralien verkaufen. Es sind echt schöne Stücke dabei und auch der Preis ist ganz OK, aber was will ich mit alten Steinen im Topcase? Kurz hinter der Passhöhe zweigt eine kleine Straße in Richtung Telouet ab. In der Michelin Karte als landschaftlich schön gekennzeichnet, hatte ich die schon länger auf dem Radar. Ein Bekannter aus dem Mimoto Reise Forum hatte mir per WhatsApp auch zu der Variante geraten („Asphalt ist etwas löchrig…“). Ich habe noch gedacht, wird nicht so schlimm sein, aber was dann kam, war schon heftig. Seit den schweren Unwettern 2014 hat sich hier wohl einiges geändert.
Brücken gab es vorher auch schon kaum, jetzt gibt es gar keine mehr, höchstens noch Reste. Gleich zu Anfang geht es recht steil bergab und ich überlegte, ob ich nicht umkehren sollte. Benzin war jetzt auch nicht mehr so üppig im Tank und vor Ouarzazate war auch nicht mit einer Tankstelle zu rechnen. Sind wir Männer oder Memmen, eben… also ging es weiter. Immer wieder war die „Straße“ komplett weggespült und reine Schotterpassagen haben mir gezeigt, dass so ne Tracer eigentlich keine Enduro ist. Nach der Ortschaft Telouet kam es dann in einem engen Tal, wo Straße und Fluss parallel verlaufen, knüppeldick. In bester Enduro Manier bin ich stehend durch das Geröll durchgekurvt. Leicht fluchend habe ich mich dann schon einen Trottel tituliert, der alleine solchen Passagen fährt. Mein Rutscher letztes Jahr in Sizilien kam mir wieder in Erinnerung.
Aber warum sich die ganze Quälerei gelohnt hat? Die Landschaft ist es wert! Man kann sich die Vielfalt der Natur, ohne es selbst gesehen zu haben, einfach nicht vorstellen. Die hohen Berge des Atlas, die diversen Felsformationen und unterschiedlichen Farben der Gesteine, einfach unglaublich und jeden Moment wert. Manchmal sieht es so aus, als ob jemand angefangen hat die Landschaft zu formen und irgendwann keine Lust mehr hatte. Absolut faszinierend und wirklich Empfehlenswert sich das mal selber an zu sehen. Mit den letzten Tropfen Benzin erreiche ich etwas fertig Ouarzazate. Im Reiseführer steht, dass es hier um diese Zeit nie regnet. Ich war dann der Erste, der hier im Oktober bei Regen und Gewitter gefahren ist. Tropfnass, müde und hungrig checke ich im Hotel ein.